Umgang mit sexualisierter Gewalt

Das Thema Umgang mit sexualisierter Gewalt, die Aufarbeitung, die Betroffenenpartizipation und notwendige Veränderungsprozesse werden in der bayerischen Landeskirche intensiv diskutiert und auf vielen Ebenen bearbeitet.

Die ELKB verurteilt sexualisierte Gewalt aufs Schärfste und sieht sich in der Verantwortung, Unrecht sorgfältig aufzuarbeiten, Betroffene zu unterstützen und Kirche und Diakonie zu sicheren Orten zu machen.

In der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern sind bisher 211 Fälle sexualisierter Übergriffe und Gewalt gegen Kinder und Erwachsene bekannt, die zum Teil bis in die 1950er-Jahre zurückreichen. Diese Zahlen legte Oberkirchenrat Nikolaus Blum im Frühjahr 2023 der Landessynode vor. Hinzu kommen 30 Fälle von sexuellen Belästigungen am Arbeitsplatz.

Christlicher Glaube und sexualisierte Gewalt sind unvereinbar

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm: "Sexualisierte Gewalt, sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, sexuelle Belästigung und Grenzüberschreitungen kommen vor – leider auch in der Kirche. Mit dem christlichen Glauben ist das unvereinbar. Es widerspricht all dem, wofür wir als Kirche stehen. Nach christlichem Verständnis besitzt jeder Mensch die gleiche Würde, egal welches Geschlecht, welches Alter, welche Hautfarbe oder welch körperliche oder psychische Verfassung er hat. Menschen im Glauben und Leben zu stärken, Gemeinschaft und Vertrauen zu ermöglichen, das ist unser Ziel. Sexuelle Belästigung, Grenzverletzungen oder sexualisierte Gewalt sind dagegen entwürdigend. Sie sind Ausdruck von Selbstüberhöhung und Machtmissbrauch – sie verursachen Angst, Leid und Zerstörung."

Wir verurteilen sexualisierte Gewalt aufs schärfste

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm: "Es beschämt uns, dass Menschen, die Gemeinschaft, Trost oder Orientierung bei uns gesucht haben, stattdessen ausgenutzt und erniedrigt wurden und sexualisierte Gewalt erfahren haben. Betroffene kämpfen mit den Folgen häufig ein Leben lang. Betroffene im kirchlichen Kontext haben durch ihre Erfahrung oft auch den Zugang zum Glauben als Kraftquelle verloren. Deshalb verurteilen wir sexualisierte Gewalt aufs schärfste."

Kirche und Diakonie sollen sichere Orte sein

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm: "Wir können Vergangenes nicht ungeschehen oder einfach wiedergutmachen. Aber wir können und wollen aktiv Vergangenes aufarbeiten, Betroffene unterstützen und mit ihnen nach neuen gemeinsamen Wegen suchen. Kirche und Diakonie sollen sichere Orte sein. Schutz vor sexualisierter Gewalt geht uns alle an. Denn jeder Mensch hat ein Recht auf ein Leben in Würde und Achtung der körperlichen und geistlichen Selbstbestimmung. Dafür stehen wir als Kirche und dafür setzen wir uns aktiv ein."

Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern unterhält eine Fachstelle Sexualisierte Gewalt mit einer Ansprechstelle für Betroffene, einer Meldestelle sowie der Anerkennungskommission. Seit 2015 sind bei der Anerkennungskommission insgesamt 65 Anträge eingegangen und bearbeitet worden. In 62 Fällen sind  Leistungen in einer Höhe von insgesamt 1,4 Millionen Euro gewährt worden. Pro betroffener Person betragen die Leistungen zwischen 5.000 und 50.000 Euro.

Alle Informationen zur Fachstelle, zu Maßnahmen, Materialien, Veranstaltungen, Ansprechpartner*innen und Kontaktinfos finden Sie in der Internetpräsenz "Aktiv gegen Missbrauch".

Diskussion der Kirchenleitung auf der Frühjahrssynode 2023 in München

Auf der Frühjahrstagung der Landessynode im März 2023 in München diskutierte die Kirchenleitung über den Umgang mit Sexualisierter Gewalt in der bayerischen Landeskirche. Oberkirchenrat Nikolaus Blum stellte in seinem Bericht drei Aspekte in den Mittelpunkt, die Kommunikation, die Prävention und die Form der Betroffenenpartizipation in der Aufarbeitung.

Laut Oberkirchenrat Nikolaus Blum gehe es darum, sprachfähig zu diesem Thema zu werden. „Wir müssen sexualisierte Gewalt aus der kommunikativen Tabuzone holen.“ Die ELKB beteiligt sich auch an der groß angelegten ForuM-Studie, die eine Analyse evangelischer Strukturen und systemischer Bedingungen, die sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch begünstigen, vorlegen will. Der zweite Punkt sei Prävention. Das Präventionsteam der Fachstelle Sexualisierte Gewalt ist mit der Konzeption und Implementierung von Maßnahmen und Schutzkonzeptien in den bayerischen Regionen unterwegs. Blum appellierte an die Vertreterinnen in Kirchengemeinden und Dekanatsbezirken, dass weiter Schutzkonzepte erstellt und gelebt und Schulungen durchgeführt werden.

Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)

Cover des Buches Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD): Hinschauen - Helfen - Handeln

Hinschauen - Helfen - Handeln

Die Broschüre "Hinschauen – Helfen – Handeln" gibt Hinweise für den Umgang mit vermuteten Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung durch beruflich und ehrenamtlich Mitarbeitende im kirchlichen Dienst.

Bestellinformation:

Bestellung von Exemplaren in kleiner Stückzahl beim Kirchenamt der EKD per E-Mail: praevention@ekd.de

Blum: „Und schließlich müssen wir uns als Kirche und als Christen denjenigen zuwenden, die durch sexualisierte Gewalt Leid und Unrecht erfahren haben. Es ist unsere Verpflichtung, Betroffenen wirksame Hilfe zukommen zu lassen, und zwar unabhängig von und über alle juristischen Ansprüche hinaus.“ Eine derzeit zu klärende Frage wäre, in welcher verbindlichen Form betroffene Menschen und externe Expertinnen und Experten an der notwendigen Aufarbeitung beteiligt werden. Der Oberkirchenrat betonte: „Ein wirksames System der Beteiligung und Unterstützung aufzubauen, das ist im Moment die große Herausforderung, an der wir weiterarbeiten müssen und wollen. Das geht nur in enger und gleichberechtigter Zusammenarbeit mit den Betroffenen.“

In einem Podiumsgespräch wurden die Themen vertieft unter Mitwirkung zweier Betroffener. Karin Krapp, Betroffene und Mitglied des Beteiligungsforums der EKD (Bildmitte), und Detlev Zander (2.v.l.)  diskutierten mit dem Landesbischof (links) und der Leiterin des landeskirchlichen Präventionsteams, Martina Frohmader (rechts). In der Frage, was es in der ELKB brauche, forderte Zander in der Diskussion mehr Sensibilität sowie eine wirkliche Betroffenenbeteiligung. Mit dem Beteiligungsforum habe die EKD eine Struktur geschaffen, die gemeinsames Entscheiden ermögliche. Ein solches Beteiligungsforum wünsche sich Zander auch in der Landeskirche. Aufklärung und Aufarbeitung müsse auch in den Landeskirchen und der Ebene der Kirchengemeinde ihre Wirkung entfalten. Einzelne Formen der Einbeziehung seien erfreulich, ersetzten aber nicht eine systematische und verlässliche Form der Kommunikation und Beteiligung.

Krapp betonte, ihr fehle in der ELKB der Wille, auch neue Wege zu gehen. Das betreffe insbesondere die Ausrichtung der Ausbildung, die Aufarbeitung vor Ort, die Transparenz von Anerkennungsleistungen sowie die konkrete Fallbegleitung. Sie appellierte an die ELKB: „Seien Sie Wegbereiter in unserer Gesellschaft.“